Johann Friedrich Jünger to Johann Franz Hieronymus Brockmann
Undated letter (between 12 Mar and 23 Aug 1791)
Vienna, Wienbibliothek, Handschriftensammlung, H. I. N. 1207 (transcription: Michael Lorenz)
[fol. 1r]
Ich weiß nicht recht lieber Brockmann, was ich aus dieser Seitenlangen
Defension über die Nichtaufführung meiner Stücke machen soll, die im Grun=
de nichts weiter ist, als eine Wiederholung dessen, was wir am ver=
wichen Montage ganz kürzlich mit einander sprachen? Wo ich recht ahn=
de, so glaubst du wohl gar, ich habe mich beÿ Sr Excellenz darüber
beschwert. Du würdest mir im ganzen Ernste sehr unrecht thun, wenn
du das glaubtest. Es war nichts weiter als eine Antwort auf seine Fra=
ge, worauf auch nicht das geringste weiter erfolgte. Daß ich diese Ant=
wort geben mußte, das wirst du wohl ohne meine Erklärung be=
greifen, denn mit Grunde kannst du doch wohl nicht von mir verlangen,
daß ich mich aus lauter Bonhomie beÿ meinem neuen Chef im Ver=
dachte der Faulheit lassen soll? Was die Klage betrift, die ich gegen
dich in der Stadt führen soll, das ist eine Nachricht, die du ^aus einer
jener ähnlichen Quelle geschöpft zu haben scheinst, aus welcher jene
von meiner Recension des Zieglerschen Stücks geflossen war. Ich
sehe so wenig Leute, komme so wenig aus, daß man sogar,
wie ich höre, schon anfängt, mein immer zu Hauße seÿn mit
Bemerkungen zu begleiten. Um allen Weschereÿen auszuweichen,
gehe ich absichtlich selten oder nie an öffentliche Örter, die einzi=
ge Basteÿ ausgenommen, und auch dieser weiche ich aus wenn
das Glacis gangbar ist. Mehr kann man doch wohl nicht thun
um Ruhe zu haben? Fängt mich nun ja einer von den wenigen
Bekannten die ich etwa habe, deren Zahl aber äußerst gering ist,
auf, und fragt mich, je nun, so antworte ich wie ich ge=
fragt werde. Ich ambitionire es wahrhaftig nicht, immer auf
[fol. 1v]
den Anschlagzetteln zu paradiren. Ich glaube daß es mir immer mehr
Ehre bringt, wenn man fragt: Warum kömmt kein Stück von Jünger?
als wenn es heißt: Mein Gott! schon wieder ein Jüngersches Produckt!
so wie ich auch glaube, daß es für das K.K. Hoftheater eben keine
Schande ist, einen Dichter zu haben, dessen Arbeiten dem feinern
und bessern Theile des Publikums gefallen.
Der Vorwurf den du mir machst, ich habe die Aufführung von
“Er mengt sich in Alles” selbst durch meine Nachlässigkeit verzögert,
ist ungegründet. Dein Gedächtniß hat dir da vermuthlich einen
Streich gespielt, und du hast vergessen, daß ich das Stück von
dir gehohlt, selbst zu Mozart getragen, esund ihn lesen lassen, und
ihn um Composition eines kleinen Sazzes gebethen habe: So
wie auch, daß ich dir einmahl geklagt habe, ich seÿ zu ver=
schiedenen Mahlen ohne Erfolg beÿ M. geweßen, mit der aus=
drücklichen Bitte, du möchtest selbst an ihn schicken, und das
qua Theaterdirektor von ihm verlangen, was ich als Autor
nicht erlangen konnte. Diese Bitte habe ich absichtlich nicht wieder=
hohlt, weil ich auch den allergeringsten Schein vermeide, als woll=
te ich die Aufführung meiner Stücke durch mein Zuthun be=
fördern. Uebrigens glaube ich nach näherer Prüfung, daß diese
Composition gar füglich wegbleiben, und an ihrer Statt das
erste beste liedchen gespielt werden kann, weil mir eine Mu=
sik in welcher sich die Schauspielerin als Flügelspielerin zeigt,
da nicht recht an ihrer Stelle zu seÿn scheint, da die Aufmerk=
samkeit der Zuschauer auf den Ausgang des Stücks gespannt ist.
[fol. 2r]
Uebrigens bitte ich dich recht herzlich, künftig nichts von allem dem zu glau=
ben, was dir von mir und über mich gesagt wird. Ich wenigstens habe
mir fest vorgenommen, mich gegen keine einzige Klätschereÿ mehr
zu vertheidigen, weil ich das unter der Würde des Mannes finde. Wenn
man sich mit allem Gesagten und Wiedergesagten abgeben wollte, so
hätte man sehr viel zu thun. In dem Falle wünsche ich dir etwas von
meiner Indolenz. So wurde zum Beÿspiel lezthin erzählt, es seÿ kurz
nach der Aufführung des Fehler in Formalibus im fürstl. lichtensteinischen
Hauße die Frage aufgeworfen worden: Wie konnte Brockmann aber
auch so ein Stück aufführen? — Ja mein Gott! war die Antwort,
ein Direktor hat der Geschäfte zu viele; er kann unmöglich alles
selbst lesen! — Aber, fragte man wieder, wozu ist dann Jünger
da? — Diese leztere Frage wurde von Seiten des Quidams mit
einem bedeuten ^aber stummen Achselzucken beantwortet. Dieses Achsel=
zucken konnte nun entweder heißen: Jünger ist zu faul, oder:
Jünger ist zu dumm! Nun hätte ich freÿlich können den Quidam zur
Rede stellen welches von beÿden er eigentlich gemeint habe? Aber ich be=
gnügte mich damit, seinen Edelmuth im Stillen zu bewundern, und
die ganze Sache zu ignoriren. Gescheute Leute wissen doch was sie
von mir zu halten haben, und das Urtheil der Narren kümmert
mich wenig. Ich rathe dir es auch so zu machen. Wenn man sich
seiner Unschuld und seines innren Werths bewußt ist, so kränkts
einen freÿlich ein wenig, wenn man aus einem falschen Ge=
sichtspunkte betrachtet wird; dafür ist man Mensch: Aber
man hätte Unrecht wenn man sich das gar zu sehr zu Herzen nähm
dafür ist man Philosoph.
Deine Frage, wie viel ich für den Ton unserer Zeiten verlan=
ge? verstehe ich nicht recht. Ich habe für keines meiner Stü=
cke die Sumen zu bestimmen. Der fünfte Paragraph meiner
Instruction schließt mit den Worten:
und ist hierbeÿ anzumerken, daß er für jedes
seiner Stücke Zweÿhundert Gulden aus der
K. K. Theatralkasse zu empfangen hat.
Ich küsse dich herzlich, und bin dein dich aufrichtig lie
bender Freund
Jünger
Beÿgehend schicke ich dir That und Reue zurück. Es ist eine Iflandiade
in der Form. Beÿ allem schauderhaften, allem Rührenden das es der Hand=
lung nach haben sollte, bin ich beÿm lesen ganz kalt geblieben. Lauter
Alltagsmenschen, die man ohne Freude kommen, ohne Leid gehn sieht,
und alles so ausgemahlt, alles mit dem Pinsel der Häußlichkeit bis
zum Ängstlichen ausgeführt, daß Contour, Leben und Haltung darüber
verlohren gegangen sind. Doch kanns auch seÿn daß ich mich irre: daß
ich mit zu großer Erwartung anfing zu lesen, weil du mir sagtest
Schröder mache viel Weßens davon. Ich bin begierig zu wissen,
ob du meiner Meÿnung seÿn wirst. Ueberdem ists im eigentlichen Sinne
weder Trauer= noch Schauspiel: Es geht einem damit wie jenem N[********]
mit der Thierhezze: Für spaas ists zu viel und für Ernst zu wenig.
Außerdem fehlt im Einzelnen sehr viel gutes.
First Published: Mon, 22 May 2017